Um die Demokratie an die Schule zu bringen, bedarf es nicht viel: Unser politisches System ist regelmäßig selbst Inhalt des Unterrichts – denn jede neue Generation ist die Wählergeneration von morgen. In diesem Sinne konnte ich während meiner Hospitation in Graz ein spannendes Experiment im Unterricht erleben: Es ging um nichts Geringeres als die österreichische Blickweise auf den Nationalsozialismus – und das in einer Klasse, in der es fast ausschließlich Schüler*innen mit Migrationshintergrund gab, die weder als Nachfahren der Täter noch als Nachfahren der Opfer einen persönlichen Bezug zum Thema hatten. Umso spannender war es, dass der externe Dozent bewusst mit genau diesen Begriffen gearbeitet hat: Indem die Schüler*innen den Unterschied zwischen (stereo-)typischen Tätern und Opfern vergegenwärtigen konnten, wurde ihnen eins schnell klar: Nur die Demokratie mit ihrem Schutz einer jeden Person und mit gleichen Rechten für alle kann echte Sicherheit vor dem "Recht des Stärkeren" bieten.
Doch damit nicht genug. In der folgenden Unterrichtsstunde und quasi "zwischen den Zeilen" konnten die Jugendlichen die integrierende Wirkung partizipativer Strukturen auch einmal selbst erleben. Formal ging es um eine Präsentation ihrer eigenen Flucht- oder Migrationshistorie, die sie in einem separaten Raum einsprechen konnten und die dann per Livestream auf eine Leinwand in die Klasse übertragen wurde. Die Ergebnisse waren beeindruckend: Sonst burschikose und um keinen Spruch verlegene junge Männer wurden dabei verletzlich und sehr persönlich. Auch diese Aufgabe war damit eine Form der Demokratieförderung, wenn auch eine eher indirekte: Es ging nicht um politisches Wissen, um Mehrheitsverhältnisse oder verschiedene Herrschaftsformen. Es ging – über den Umweg der persönlichen Biografie – stattdessen um ein lebendiges Beispiel einer Gesellschaft, in der jede und jeder zu Wort kommen kann, in der jede einzelne Lebenserfahrung gleich wichtig ist. Demokratieförderung ist mehr als die Motivation, demokratische Parteien zu "wählen". Es ist das Sich-Einbringen und der Respekt vor der Wirklichkeit der anderen, was zählt. Manchmal stellt sich ein Lerneffekt auch nachträglich ein: Kurz nach unserer Rückkehr nach Deutschland verschärfte sich die weltweite Corona-Krise. Schulen wurden geschlossen, der Unterricht auf „Homeschooling“ umgestellt. Umso wichtiger wurde es plötzlich, sich mit digitalen Medien auszukennen und sie zu nutzen. Mir kam dabei immer wieder das Beispiel des Live-Streams aus Graz ins Gedächtnis. Damals habe ich das einfach so hingenommen, es sollte die Jugendlichen ja nur ermutigen, offener zu reden. Im Rückblick betrachtet ist es ein schönes Beispiel dafür, wie wichtig digitale Medien sind und wie vielseitig sie sich nutzen lassen können. Wir sollten diese Möglichkeiten ganz unabhängig von Corona viel häufiger im Unterricht nutzen – und Graz war in dieser Hinsicht für mich ein ganz persönlicher Anfang.
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